Viele Unternehmen sind sich der in einem Monat startenden Zusatzbelastung noch nicht bewusst

Bis 17. Dezember muss Österreich die Whistleblower-Richtlinie der EU in nationales Recht umsetzen. Ab dann sind Unternehmen, aber auch Behörden und öffentliche Stellen verpflichtet, für interne Hinweisgeber Plattformen einzurichten, um Missstände aufzuzeigen. Das vom Kommunikationsexperten Rudolf J. Melzer gegründete Internationale Forum für Wirtschaftskommunikation (IFWK) zeigte in einer Veranstaltung auf, dass sich ein Großteil der Unternehmen der Zusatzbelastungen durch intern zu implementierende Whistleblower-Systeme noch nicht bewusst ist.

Spätestens seit Edward Snowden und den Panama Papers ist der Begriff „Whistleblowing“ auch in Österreich einer breiten Mehrheit bekannt. Das Europäische Parlament hat 2019 die Whistleblower-Richtlinie (RL 2019/1937) “zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden” beschlossen, die für alle Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten zur Anwendung kommt. Ziel dieser Richtlinie ist eine bessere Durchsetzung des Unionsrechts durch die Definition gemeinsamer Mindeststandards. Die Aufgabe für die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten der Europäischen Union besteht nun darin, die Richtlinie bis 17. Dezember 2021 in nationales Recht umzusetzen. Für Unternehmen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern gilt die Umsetzungsfrist für die Einrichtung von internen Meldekanälen um weitere zwei Jahre bis 17. Dezember 2023.

Wie sich die aktuelle Lage in Österreich kurz vor Inkrafttreten der EU-Whistleblower-Richtlinie darstellt, erörterte ein hochkarätiges Panel des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK) unter dem Titel „Whistleblower im Spannungsfeld zwischen Gefühl und Gesetz“: Für Ursula Roberts, Leiterin der Praxisgruppe Arbeitsrecht und Immigration bei PwC P&O Legal, ist entscheidend, dass eine Meldung „nicht beim Betriebsrat landet, sondern bei einem unabhängigen Dritten und dass die Anonymität gewährleistet ist. Denn eine Meldung hat weitreichende Folgen sowohl für das Unternehmen als auch für den betreffenden Arbeitnehmer. Diese Richtlinie ist eine Schutzmaßnahme für Personen.“

Wilhelm Milchrahm, Partner bei der Kanzlei MS Legal, fügte hinzu: „Die Richtlinie bedeutet auch, dass man einen unternehmerischen Rechtsbeistand mit diesen Belangen bemühen kann und sollte, denn es gibt Pflichten, die der Mitarbeiter und auch ein Unternehmen hat. Betroffene Organisationen müssen einen internen Meldeprozess einführen, der Internen und Externen die Möglichkeit gibt, Verstöße zu melden.“

Unternehmen befürchten zusätzliche Kosten
Der erfahrene Top-Manager und Berater Klaus Schmid – er war unter anderem CEO von Capgemini in Österreich sowie von NTT DATA und ist Gründungsmitglied des IFWK – räumte ein, dass die Richtlinie prinzipiell nicht neu ist, viele Unternehmen sich aber des zusätzlichen Aufwandes und der zusätzlichen Kosten noch nicht bewusst sind: „Es muss ein ganz neuer Prozess aufgesetzt werden, der entsprechend dokumentiert und zertifiziert werden muss. Das heißt, es müssen immense Investitionen getätigt werden, die den Wirtschaftsstandort mit zusätzlichen Kosten belasten. Viele Unternehmen gehen auch jetzt sehr sorgsam mit ihrem Personal und ihren Mitarbeitern um und haben etwa entsprechende Werte-Programme. Die Frage ist: Wollen wir mit der Whistleblower-Richtlinie ein Symptom behandeln oder wollen wir auch an der Wurzel beginnen und über Werte diskutieren und darüber, wie man Unternehmen unterstützen kann, dass wieder eine Vertrauenskultur herrscht und man eine Richtlinie in dieser Form gar nicht braucht.“

Ursula Roberts verwies in diesem Zusammenhang auf den Enron-Skandal und den Nutzen einer Whistleblower-Richtlinie: „Wenn man das früher entdeckt hätte, dann hätte großer Schaden für Menschen und Unternehmen verhindert werden können.“ Für Schmid müsse man den Nutzen besser kommunizieren: „Möglicherweise könnte man seitens der Richtlinien gebenden Stelle auch entsprechende Services für Unternehmen anbieten.“

Ashwien Sankholkar, einer der renommiertesten Wirtschafts-Investigativjournalisten des Landes, Chefreporter und Gesellschafter der gemeinnützigen Rechercheplattform DOSSIER: „Die Whistleblower-Richtlinie ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sie wird viele Vorstände, Geschäftsführer oder Aufsichtsräte zittern lassen und für mehr Disziplin beim Umgang mit Rechtsverstößen sorgen. Wer Compliance nicht ernst nimmt, der wird künftig mehr Probleme bekommen. Das Topmanagement wird gezwungen sein, eine Vertrauenskultur zu etablieren. Sonst gibt’s Troubles. Wer Misstrauen sät, der wird Whistleblower-Anzeigen ernten.“Wilhelm Milchrahm stimmte dem zu: „Das Problem ist, dass ein systemisches Versagen im Unternehmen selbst das interne Whistleblower-System ad absurdum führt. Das heißt, wenn alle internen Stellen zusammenwirken, ist es natürlich sinnlos.“

Richtlinie soll die Vertrauenskultur und Reputation stärken
Für Sankholkar ist wichtig: „Ich nehme mir viel Zeit, die Motive eines Whistleblowers zu verstehen. Bevor ich einem Hinweis nachgehe, stelle ich den potenziellen Informantinnen und Informanten immer dieselben Fragen: Welche Kanäle im Unternehmen haben Sie genutzt, um den Missstand zu beseitigen? Haben Sie mit Ihrem Vorgesetzten gesprochen? Welche Behörde haben Sie kontaktiert? Und zum Schluss muss ich mir selbst die Frage stellen, ob die Aufdeckung des konkreten Missstands von öffentlichem Interesse ist? Das muss ich immer von Fall zu Fall abwägen. Diese Arbeit bleibt mir nicht erspart.“   

Milchrahm betonte, dass es das Ziel der Unternehmen sein sollte, dieses interne Vertrauen herzustellen bzw. zu stärken, da insbesondere die Vorteile einer allfällig notwendigen Selbstanzeige – sowohl in rechtlicher Hinsicht als auch für die Reputation eines Unternehmens – nur durch funktionierende interne Meldeverfahren gewahrt werden können.

Möglicher Schaden?
Für Klaus Schmid stellte sich auch die Frage, ob die Richtlinie nicht dazu führt, dass Personen, die davor gar nicht daran gedacht hätten, nun vermehrt Meldungen nach außen bringen werden und Unternehmen Schaden zufügen. Ursula Roberts dazu: „Die Richtlinie bezieht sich auf Meldung von Rechtswidrigkeiten also Verletzung des EU-Rechts. Und es soll dadurch vieles auf internen Kanälen abgefangen werden. Es wird daher womöglich weniger nach außen dringen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor: Es gibt nun ein System, bei dem ein Mitarbeiter Unstimmigkeiten intern melden kann und nicht sofort an die Öffentlichkeit treten muss.“ Zur Frist, dass die Richtlinie bis 17. Dezember in innerstaatliches Recht umgesetzt werden soll, meinte Roberts: „Meines Wissens nach gibt es dazu aber erst ein Arbeitspapier. Das bedeutet, dass die Richtlinie so angewendet werden muss, wie sie ist.“

Die von der ehemaligen Investigativ- und Wirtschaftsjournalistin Elisabeth Woditschka moderierten Expertenrunde – es meldeten sich unter anderem Isabella Mader, CEO des Excellence Institutes, Doris Pokorny, CFO der Austria Presseagentur und Geschäftsführerin der Gentics Software GmbH, Bernd Bugelnig, General Manager von Capgemini in Österreich, sowie Waltraut Kaserer, Senior Director Strategic Partnerships and Public Affairs der Lenzing AG, zu Wort – kam zum Schluss, dass viele der Details von Seiten des Gesetzgebers noch nicht ausreichend kommuniziert wurden und man daher auch weiterhin auf die Umsetzung in das österreichische Recht gespannt sein darf.