IFWK diskutierte die „Smartphonisierung“ unseres Denkens bzw. unserer Gesellschaft

E-Mails beantworten bis spät in die Nacht hinein. Jederzeit ein Lexikon zur Hand haben, in dem man fast jede Information findet. Moderne Gadgets wie das Smartphone eröffnen zwar einerseits neue Kommunikationsformen, fördern damit aber andererseits gesellschaftliche und gesundheitliche Probleme und neue Abhängigkeiten zu Tage. Dieser sogenannten „Smartphonisierung“ unserer Gesellschaft hat sich das Internationale Forum für Wirtschaftskommunikation (IFWK) angenommen und hochrangig diskutiert: Unter der Moderation der langjährigen ORF-Wirtschaftsredakteurin und Trainerin Eva Pfisterer einigten sich die Medienpädagogin und Medientheoretikerin Univ. Ass. Eva Horvatic vom Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien, Univ.Prof. Rainer M. Köppl, Medienwissenschaftler am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien, Anitra Eggler, Digital-Therapeutin und Kommunikationsexpertin, Software AG-Österreich-Chef Walter Weihs und IFWK-Präsident Rudolf J. Melzer darauf, dass der Computer das menschliche Gedächtnis nachhaltig beeinflusst hat und eine neue Kultur sowohl in der privaten als auch in der Unternehmenskommunikation Einzug halten müsste.

„Unternehmer sollten zum Beispiel auch Verantwortung für jenen E-Müll übernehmen, der in ihrer Firma produziert wird“, spielte Anitra Eggler im Rahmen des ersten IFWK-Forums nach der Sommerpause in den Räumen der Software AG Österreich auf Auswüchse in der E-Mail-Kommunikation an. Nächtlichen Mails mit dürftigen Inhalt, aber dafür unzähligen „CC-Adressaten“ sei Einhalt zu gebieten und auf die richtige Auswahl des Kommunikationsmediums verstärkt zu achten: „Bei einem Notfall sollte man den Notarzt oder die Feuerwehr eben nicht per E-Mail anfordern, sondern schlichtweg anrufen.“

Zauberlehrling 2.0

Rainer M. Köppl: „Die Medien, die wir nicht mehr kontrollieren können, erscheinen der Medienkritik seit jeher als „Ausgeburt der Hölle“, wie Goethes Zauberlehrling entsetzt ausruft, als er einen Besen in einen störrischen Knecht verwandelt hat, der ohne Unterlass Wasser anschleppt, bis das ganze Haus zu „ersaufen“ droht. Der Zauberlehrling hat den Zauberspruch (Passwort) vergessen, zerhackt in seiner Verzweiflung den Besen und potenziert damit das Problem.“ – Bei Goethe gibt es jedoch noch den „alten Meister“, das ÜBER-ICH, das den Geisterbesen in die Schranken weist, aber wie ist – abgesehen von radikal-fundamentalistischen Konzepten – ein Meister vorstellbar, der uns vor dem  Internet in Schutz nehmen könnte? Wir können heute nicht mehr den Stecker ziehen, zu viele positive Elemente sind damit verbunden.

Wieder Herr im eigenen Haus werden

Obwohl wir durch unser medienkritisches ÜBER-ICH – von Sokrates bis Manfred Spitzer –  wissen, dass es für uns als Individuen und als Gesellschaft nicht gut sein kann, Tag und Nacht vor dem Computer zu hocken, zieht „ES“ uns doch immer wieder vor die Bildschirme, wo uns scheinbar nichts anderes überbleibt als den Willen des ES per Mausklick  umzusetzen. Die Grundlage für die semiotische Kränkung liegt offenbar in unserem Triebsystem, daher müssen wir auch dort den Schlüssel zur Befreiung suchen, Kräfte, die es uns ermöglichen könnten, uns aus der Macht der Medien zu befreien und Herren im eigenen Haus zu werden.

Sex vor Rapid Wien

Aber wozu nutzen wir das „Internet“ das wir eben nicht mehr abschalten können? Rainer Köppl hat sich auf die Suche gemacht mit folgenden Ergebnissen: „Thomas Bernhard“ liegt vor „Elfriede Jelinek“ aber beide haben gemeinsam keine Chance gegen das „Wiener Schnitzel“. Aber selbst das Schnitzel unterliegt klar der „Rapid Wien“. Aber alle gemeinsam unterliegen sie selbst wenn sie sich verbünden dem „Sex“.

Sprache – das wichtigste Medium

„Medien verändern Raum und Zeit“, konstatierte die Medienpädagogin und Medientheoretikerin Eva Horvatic: „Alle modernen Gedächtnistheorien gehen auf jene von Maurice Halbwachs zurück, der vor rund 80 Jahren eine Gedächtnistheorie mit der zentralen These entwickelte, das menschliche Gedächtnis habe neben einer neuronalen auch eine soziale Basis. Für Halbwachs entsteht das Kollektive im Menschen nicht als biologische Einschreibung durch Vererbung, sondern durch Kommunikation: Der Mensch ist ein Wesen, das mit anderen Individuen in einem sozialen Kontext eingebunden lebt. Nur im Umgang mit anderen entwickelt sich sein Gedächtnis. Hierbei kommt der Sprache als dem wichtigsten Medium für das Erinnern zentrale Bedeutung zu. Durch Kommunikation in der Gruppe werden Erinnerungen lebendig. Der Mensch nimmt gleichsam teil am sogenannten kollektiven Gedächtnis. So lernen Kleinkinder über die Austauschprozesse in der Gruppe, dass es Vergangenheit, ein Jetzt und Zukunft gibt.

Betrachtet man nun den Einfluss des Computers und des Internet auf das menschliche Gedächtnis, stellt man fest, dass wohl kaum eine andere technologische Innovation mit diesen beiden Technologien hinsichtlich der Auswirkungen auf das menschliche Gedächtnis vergleichbar ist. Diese beiden neuen Leitmedien verändern die gesamte menschliche Wahrnehmung und unser Denken. Dass sich dies nicht nur oberflächlich vollzieht, sondern sogar Veränderungen im Substrat menschlicher Körper nach sich zieht, ist nur ein Faktor, der diese Medien in besonderer Hinsicht charakterisiert.

Spannend, technologische Gegenwart aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten

Es geht nicht mehr bloß um den Transport von Information, es kommt zu einer Transformation. Der Einfluss, den IT auf unser kommunikatives und kulturelles Gedächtnis hat, unsere kulturelle Identität, unsere Wissensbestände, werden in einem Maß verändert, welches sich nicht absehen oder auch nur im Geringsten voraussagen lässt.“ (Horvatic)

Für den Gründer des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation, Rudolf J. Melzer, hat dieser Abend allen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im besten Sinne „zu denken gegeben“. „Die angeregte Diskussion zeigte, wie spannend, aber auch vergnüglich es sein kann, die technologische Gegenwart aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.“ (Melzer)